„Wo bleibt mein Zug?!“ Genervt zücke ich mein Handy und tippe die Frage in meinen Chat. Die Antwort kommt prompt: „Entschuldigung, ich muss Sie leider noch ca. 12 Minuten vertrösten.“ 12 Minuten – gerade noch genug Zeit für einen Kaffee. Aber nach Murphys Gesetz würde der Zug natürlich gerade in dem Moment abfahren, in dem ich mit meinem brühend heißen Kaffee die letzten Stufen zum Bahnsteig hoch hetze.
Also zücke ich wieder mein Smartphone: „Einen Kaffee bitte. Mit Milch. Stehe am Bahnsteig 7“. Auch hier lässt die Antwort nicht lange auf sich warten: „Möchten Sie bar oder mit PayPal bezahlen?“ Nach wenigen weiteren Eingaben ist zu lesen: „Ihr Kaffee ist unterwegs. Vielen Dank!“ 3 Minuten später sehe ich schon den Lieferanten einer amerikanischen Kaffee-Kette am Ende der Rolltreppe. Ich schließe den Chat und stecke mein Smartphone in die Tasche.
Utopie? Wer das für unrealistisch hält, verkennt die Zeichen der Zeit. Erst vor wenigen Tagen kündigte Facebook auf der hauseigenen F8 Conference an, man wolle den Facebook Messenger zu einer Plattform ausbauen. Zu einer Plattform, die Unternehmen neue Möglichkeiten bietet, mit Kunden in Kontakt zu treten. Keinesfalls ein unerwarteter Schritt, zeichnete sich doch zuletzt immer häufiger ab, dass Chat-Apps nicht nur für Privatpersonen interessant sind.
Erste Gehversuche
Seit Anfang des Monats bietet uns n-tv die Möglichkeit, Eilmeldungen per WhatsApp zu erhalten, wenn man sich auf der Website einträgt. Aber auch andere Medien, von N24 bis BILD, haben schon mit diesem neuen Kommunikationskanal experimentiert. Noch ist keine klare Linie zu erkennen, der Einsatz reicht von Bundesligatransfers bis zum Dschungelcamp – man darf aber gespannt sein.
Sogar die alterwürdige BBC hat sich WhatsApp bedient, um Nutzer in Westafrika über die Entwicklung der Ebola-Seuche auf dem Laufenden zu halten. Wer sich per “JOIN”-Nachricht an die eigens dafür eingerichtete Rufnummer anmeldete, erhielt bis zu drei Mal am Tag aktuelle Meldungen. In den richtigen Händen können Messenger Leben retten.
Im asiatischen Raum ist das Thema weiter verbreitet. Der chinesische Platzhirsch WeChat und das in Japan beliebte Line bieten beide schon seit Längerem Unternehmensprofile an. Einen Tisch im Restaurant reservieren oder ein Taxi bestellen und direkt über die App bezahlen – alles kein Problem. Dasselbe funktioniert sogar mit Flügen.
Reiseberatung per WhatsApp: Travel Homie
Dass Messenger eine interessante Plattform zur Reiseberatung sind, erkannten hierzulande die Jungs von Travel Homie. Sie haben prompt einen Dienst auf die Beine gestellt, der über WhatsApp passende Angebote und Tipps liefert – die persönliche Beratung steht dabei im Mittelpunkt. Protagonist ist Alex, selbst ein großer Reisefanatiker. Er chattet ungezwungen mit seinen “Homies”, unterbreitet ihnen unverbindliche Vorschläge und hilft, wo er kann.
Gewisse Schwierigkeiten gab es bei der praktischen Umsetzung durchaus. Im Gegensatz zum Messenger wird das ebenfalls von Facebook Inc. gehaltene WhatsApp nämlich in absehbarer Zeit keine API anbieten. Dennoch lohnt es sich, sich mit dem Messenger zu befassen – schließlich ist WhatsApp hierzulande auf 57 % aller Smartphones installiert und hat damit eine höhere Verbreitung als der Facebook Messenger. Auch die Nutzungsfrequenz ist offenbar höher, wie eine spontane Umfrage unter unseren Twitter-Followern verriet.
Wie Travel Homie arbeitet
Jetzt geht’s in die Praxis! Wir haben Maximilian Soltner von Travel Homie gefragt, wie er die Kommunikation über WhatsApp organisiert.
“Da hilft uns die neu erschienene Desktop-Version von WhatsApp natürlich sehr weiter. Ganz am Anfang haben wir die Kommunikation noch über einen Emulator auf dem Laptop abgebildet. Da konnte man z.B. nichts kopieren, was es schwer gemacht hat, Links zu verschicken. Inzwischen hat sich alles ganz gut eingespielt. Es gibt eine klare Zuordnung, wer wann neue Anfragen annimmt und verarbeitet. Je nachdem, welches Wissensfeld abgefragt wird, tauschen wir uns natürlich aus. Aber die menschliche Beratung bleibt immer bestehen, sodass wir nicht auf einen Knopf drücken und auf einmal tausende Kunden am Tag bedienen können. Da wir aber keine aggressive Growth-Strategie fahren, können wir natürlich wachsen.”
Was die Stärken und Schwächen von WhatsApp betrifft, hat Maximilian eine klare Antwort: Die Nutzer haben ihr Smartphone immer dabei und finden sich in einer vertrauten Chatumgebung wieder. Leider hat WhatsApp keine Schnittstellen, die eine Anbindung an ein CRM-System ermöglichen. Daher müssen die Interaktionen bei Travel Homie derzeit noch händisch dokumentiert werden, was sehr mühsam ist.
Dank Push Notifications ist man dabei stets präsent. Diese werden bei Travel Homie derzeit aber noch nicht als strategisches Mittel genutzt: “Unsere Öffnungsrate von Nachrichten liegt bei nahezu 100 %. Das klingt logisch, ist aber, wenn man es z.B. mit Newslettern vergleicht, eine wahnsinnige Quote.” Auch Antworten kommen nahezu immer zurück, auch wenn man vereinzelt ein zweites Mal nachfragen muss. Aber wir kennen das ja auch, hier und da mal eine Chatnachricht zu übersehen. Reiseberater Alex ist nicht nachtragend.
Maximilian hat große Zuversicht in WhatsApp, hofft aber, dass auf Business-Seite noch einiges passiert. Die Möglichkeit, sowohl One-to-one, als auch One-to-Many zu kommunizieren, hält er für vielversprechend. “Hier schweben uns schon einige interessante Modelle vor.”
Und die Resonanz? ”Wir erhalten im Grunde ausnahmslos positives Feedback.” Befürchtungen bezüglich einer Hemmschwelle bei der Preisgabe der Telefonnummern haben sich nicht bestätigt, sogar ältere Semester nehmen den Service dankend an. Maximilian und sein Team setzen auf eine lockere Tonalität, die sowohl zu ihnen als auch zum Medium passt. “Wir duzen unsere Nutzer und führen Smalltalk. Sie sollen wissen, dass sie mit Menschen und nicht mit einem Bot zu tun haben und es wäre doch langweilig, wenn wir jedes Mal trocken die Standardfragen runterrattern würden. Dieser Ansatz kommt sehr gut an. Es gibt keinerlei Befremdlichkeiten und die Nutzer nehmen uns als netten Helfer an, mit dem man immer wieder quatschen kann. Wir hatten sogar schon Nutzer, die uns ein kleines Trinkgeld überwiesen haben – sie waren einfach mit dem Service zufrieden.”
Ein Erfolgsrezept für Messenger
Travel Homie beweist, dass es funktioniert. Das Geheimnis? Die Kommunikation ist persönlich, direkt und freundlich. Nicht wirklich anders, als wenn man sich mit einem guten Freund unterhalten würde – und genau das möchte man mit seiner Marke doch sein: ein guter Freund, der das Leben bereichert.
Du siehst also: Messenger sind ein spannendes Werkzeug, um deine Kundenbeziehungen zu stärken. Wenn du ein innovatives Konzept findest, um deiner Zielgruppe auf diesem besonders nahen Kommunikationskanal einen Mehrwert zu liefern, wirst du bleibenden Eindruck hinterlassen. Es kann sich auf jeden Fall lohnen, hier zu den Ersten zu gehören. Geh aber davon aus, dass deine Mitbewerber bald nachziehen, nicht zuletzt, weil nun auch Facebook aktiv die Nutzung des Messengers im Unternehmenskontext fördert.
Oder ist das Ganze vielleicht doch bloß eine Modeerscheinung? Vordefinierte Eingabemasken haben schließlich durchaus ihre Vorteile. Was meinst du?