Hallo Ben, schön dass Du Zeit gefunden hast. Als erfahrener Berater bei buw Digital bist du mit dem Thema „Kundenservice im Social Web“ mehr als vertraut. Welche Anforderungen stellen denn diese Dienste eigentlich an den Kundenservice von heute?
Sämtliche Social Media Plattformen stellen zusammengenommen einen neuen Kunden-Kommunikationskanal dar, auf dem die Kunden wie am Telefon oder per Email Service erwarten. Der Social Media Kanal gestaltet sich allerdings viel heterogener, als die anderen Kanäle, weil er aus einer nicht enden wollende Anzahl von Subkanälen, also den verschiedenen Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube, besteht. Auf diesen Plattformen sind sowohl die Kunden als auch die Unternehmen zu Gast unterwegs, was bedeutet, dass man sich der jeweiligen Infrastruktur anpassen muss. Ein Beispiel: Ein Tweet besteht aus 140 Zeichen. Auch wenn ich feststelle, dass ich meinen Kunden dort viel besser gerecht werden könnte, wenn ich 300 Zeichen zur Verfügung hätte, muss ich mich mit den 140 Zeichen zufrieden geben.
Wenn die Unternehmen auf verschiedene Infrastrukturen treffen, macht es dann nicht Sinn, sich auf einzelne Plattformen zu fokussieren?
Absolut! Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Kunden im Social Web die Möglichkeit haben selbst zu bestimmen, wie sie sich an ein Unternehmen wenden bzw. wo sie was über ein Unternehmen sagen. Das ist ein Novum im Vergleich zur Telefonie oder der Emailbearbeitung, wo ein Unternehmen den Kanal für die Kunden öffnet, also die Line oder die Emailadresse scharf schaltet. In der Konsequenz sollte ich also als Unternehmen auf den Social Media Plattformen mit einem betreuten Profil vertreten sein, wo sich die meisten meiner Kunden aufhalten. In Deutschland sind das gerade Facebook und Twitter (vielleicht noch G+) als generalistische Plattformen. Dazu kommen, je nach Branche, bestimmte Foren oder anderweitige Plattformen mit speziellem Themenbezug. Mittels Social Media Monitoring kann ich zusätzlich erfassen, wenn irgendwo außerhalb der aktiv betreuten Kanäle ein für mich relevanter Beitrag verfasst wird.
Und wie steht es mit der eigenen Social Media Plattform?
Auch das kann sinnvoll sein. Insbesondere bei hochkomplexen Themen oder Consumer Brands mit einer hohen Anzahl an Kunden bieten sich sogenannte Self Service Portale oder Kunden Communitys an. Diese lassen sich als strategischer Nukleus ins Zentrum des Social Media Kundenservice rücken und konsolidieren über Schnittstellen den Service auf den diversen Subkanälen.
Siehst du ein Problem für Unternehmen zukommen, die sich dem Web noch verschließen?
Ja, weil sich diese Unternehmen nur selbst ausschließen. Es ist ein Irrglaube, dass man durch die mangelnde eigene Präsenz im Social Web eine aktive Entscheidung darüber treffen kann, ob den eigenen Kunden eine Dialogmöglichkeit angeboten wird oder nicht. Im Zweifel adressiert der Kunde das Unternehmen und das Unternehmen bekommt durch die Entscheidung das Social Web zu vernachlässigen nichts davon mit. Unschön, oder?
Ich sollte mich also als Unternehmen nicht vor dem Kundenservice im Social Web verschließen. Gibt es denn noch weitere konkrete Benefits dieser neuen Form von Kundenservice? Oder verstehst Du
das als reine Anforderung?
Ein Großteil der Service Dialoge im Social Web erfolgt öffentlich. Wenn ich als Unternehmen einen guten Job im Service mache, produziere ich damit gleichzeitig die schönste Marketingbotschaft der Welt: Einen zufriedenen Kunden. Unser Motto bei buw digital lautet „Dialog ist das neue Marketing“. Wir sind überzeugt davon, dass brillanter Service zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein echtes Alleinstellungsmerkmal darstellt. Wer sich jetzt positioniert profitiert davon. In naher Zukunft wird brillanter Service commodity, wer sich dem verstellt gerät ins Hintertreffen.
Welche Parallelen gibt es zum klassischen Kundencenter?
Parallelen bestehen bei den Workflows, den Systemen, den Skillsets der Mitarbeiter und natürlich auch bei den Inhalten. Natürlich gibt es dennoch wichtige Spezifika die für den Social Media Kundenservice beachten werden müssen und entsprechend anders laufen.
Nehmen wir mal das Skillset eines klassischen Callcenter Agenten. Was unterscheidet ihn von einem Social Media Agenten?
Mitarbeiter im Kundenservice müssen immer ein hohes Maß an Empathie mitbringen, um auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen zu können. Bei einem Social Media Agenten ist das noch mal besonders ausgeprägt, da ihm die atmosphärischen Wahrnehmungen des Dialogs fehlen. Dazu kommt natürlich der, durch die Öffentlichkeit des Dialogs bedingte, noch höhere Qualitätsdruck und ganz handwerkliche Aspekte wie die Orthografie und das Beherrschen unterschiedlicher Tonalitäten.
Wenn man sich mit Kundenservice im Web auseinander setzt, kommt man an einem Buzzword fast nicht vorbei: Reaktionszeit. Wie wichtig ist deiner Meinung nach dieser Indikator und wie hoch sollte diese sein? Es gibt sicherlich kein Pauschalrezept, wie viele Minuten es sein sollten, aber gibt es eine Zeitspanne, wo der Service dann schlicht versagt hat?
Wir empfehlen unseren Kunden im Social Web ein Servicelevel von 100/2 einzuhalten und arbeiten bei den Outsourcing Projekten die wir betreuen auch mit diesem Wert. Er bedeutet, dass hundert Prozent der Kundenanfragen binnen zwei Stunden beantwortet werden. Dieser Wert wurde in diversen Studien angegeben und bestätigt sich in unserer Erfahrung. Allerdings, dieser Hinweis ist mir sehr wichtig, akzeptieren Kunden reguläre Service Öffnungszeiten in denen dieses Servicelevel erreicht wird. Es ist nicht notwendig mitten in der Nacht oder ein Feiertagen binnen zwei Stunden für seine Kunden da zu sein, nur weil man Social Media Kundenservice anbietet. Man sollte nur darauf achten die „Öffnungszeiten“ auch klar und deutlich zu kommunizieren.
Wenn ich ein kleineres Unternehmen bin, vielleicht ein Mittelständler, wie kann man sich – vielleicht auch als kleineres Unternehmen – dort besser organisieren?
Als Dienstleister lautet meine erste Antwort da natürlich: „Durch Outsourcing!“ (lacht) Im Ernst: Ich muss mir darüber im klaren sein, dass Social Media Kundenservice einiges an strategischer und operativer Arbeit mit sich bringt. Kundenservice lässt sich durch die geforderte Reaktionszeit schlecht nebenher machen und ist komplexer als oftmals angenommen. Wenn ich bereits über ein klassisches Service Team verfüge empfehle ich eine Weiterbildung der geeigneten Agenten zu Social Media Agents, so dass dieser Kanal adäquat betreut werden kann. Hierbei, wie auch bei der Auswahl von geeigneten Tools, der Definition von Prozessen und der strategischen Positionierung, würde ich mir auch dann Unterstützung holen, wenn ich das Thema selbst durchführen möchte.
Wenn ich über gar keine Service Strukturen verfüge, würde ich mich auf die Suche nach einem Dienstleister machen.
Ben, ich bedanke mich für das ausführliche Interview und die umfänglichen Antworten. Der tiefere Einblick hinter die Kulissen eines Servicetweets und die damit verbundenen Arbeiten sind weitaus komplexer als täglich nur auf den Plattformen präsent zu sein.
Ben Ellermann berät als Senior Consultant bei buw digital Unternehmen beim Aufbau und der Umsetzung digitaler Kommunikationsprojekte, vom Dialog 2.0, über Blog und Chat, bis hin zur Enterprise 2.0 Lösung. Zuvor hat er sieben Jahre lang in verschiedenen Positionen, zuletzt als gesamtverantwortlicher Community Manager, beim Sozialen Netzwerk stayblue.de mit damals 600.000 Nutzern gearbeitet. Ben Ellermann ist erster Vorsitzender des Vorstands des Bundesverbands Community Management e.V. für digitale Kommunikation und Social Media sowie Prüfer für Social Media Managaer bei der Prüfungs- und Zertifizierungsorganisation der deutschen Kommunikationswirtschaft.